Zur Geschichte der Kinzigflößerei

Über 700 Jahre Flößerei auf der Kinzig (1300-1895)

 Es wird wohl immer ein Geheimnis bleiben, wann Menschen um Wolfach begonnen haben, Holz aus den ausgedehnten Wäldern des Schwarzwaldes an den Oberläufen von Kinzig und Wolf auf den Fluten dieser Flüsse zu transportieren. Das Holz musste, um den Gesetzen des Marktes zu entsprechen, von den Orten ungenutzten Überflusses dorthin gebracht werden, wo  Holzmangel herrschte. Wann sie die notwendigen Techniken übernahmen , um Langhölzer kunstvoll zu flößen, um diese, in der damals einzig denk-baren Weise, aus den abgelegenen Tälern des Gebirges an den Ort des Verbrauchs zu schaffen.

Es gibt bislang keine Beweise dafür, dass schon die Römer Holz auf der Kinzig geflößt haben. Sie besaßen zwar am Rhein mit Straßburg, „Argentorate“ genannt, ein wichtiges befestigtes Heerlager und durch das Kinzigtal führte die einzige Straße quer durch den Schwarzwald nach Rottweil. Ein Großverbraucher an Bau- und Brandholz! Gesichert ist, dass die Anfänge der Kinzigflößerei bis ins hohe Mittelalter zurückreichen, denn schon beim Bau der Dome zu Speyer (1050)  und Straßburg wurde geflößtes Holz aus dem Schwarzwald verwendet.

 
Straßburgs Handelsleute waren es wohl, die nicht nur große Waldgebiete im Schwarz-wald erwarben, sondern auch die ersten Verträge aushandelten. Die ersten urkundlichen Nachweise gab es 1339, in der Zeit, in der sich die Flößerei im vorderen Kinzigtal um Gegenbach herum abspielte. Dann wurden Wolfach und Schiltach für viele Jahrhunderte unumstrittene Zentren. Die Bäche und Flüsse wurden im 15. Jahrhundert  bis zu den höchsten Gebirgszügen  floßbar gemacht war, nämlich die Kinzig bis nach Alpirsbach und die Wolf bis nach Bad Rippoldsau.  Die Gegend um Schramberg, gelegen am Fluss Schiltach und die Schutter als Zufluss kurz vor dem Rhein in die Kinzig, erlangten ebenso Bedeutung.


Selbst auf den kleinen Seitenbächen beherrschte man früh die Technik des Einbindens von Baumstämmen zu lenkbaren Flößen, während in anderen Flussgebieten viel länger an der sogenannten „Wildflößerei“ festgehalten wurde. Ein nicht zu unterschätzender Faktor war die Brennholzversorgung mittels der „Trift“ für das ganze Kinzigtal und für die Stadt  Straßburg. Ebenso die Versorgung der vorindustriellen Unternehmen und Hüttenwerke. 1582 bestand schon ein Vertrag zwischen dem Kloster Bad Rippoldsau und Straßburg über eine Lieferung von über 1800 Klafter Scheiterholz.

 
Viele Floß- und Zollordnungen brachten dann schriftliche Nachweise. Um 1500 besaßen die beiden Kinzigtalstädtchen Schiltach und Wolfach schon ein absolutes Holzhandels-privileg, d. h. die Bürger dieser Städte hatten die ausschließliche Berechtigung zum „auswärtigen Holzhandel“, ein Recht, das die bäuerlichen Waldbesitzer radikal von diesem Handelsgeschäft ausschloss. Graf Wolfgang von Fürstenberg war es, der den „Bewohnern“ Wolfachs zur Förderung ihrer „Wohlfahrt“ das Gewerbe des Holzflößens genehmigte.


Im ganzen deutschen Reich bekannt wurde die Kinzigflößerei, und dies beweist deren Bedeutung, die Sebastian Münster, der Kosmograph (1489-1552),  in seiner vielgelesenen ersten deutschen Länderkunde „Cosmographia universalis“ 1544 erwähnt:

 „Das Volck so bey der Kintzig wohnet, besonders umb Wolfach, ernehret sich mit den großen Bawhöltzern, die sie durch das Wasser Kyntzig gen Straßburg in den Rhein flötzen und groß Gelt jährlichen erobern.“

 
Die Flößerei war über Jahrhunderte eine Haupteinnahmequelle der Wolfacher. Unzählige Holzhauer, Flößer, Wiedendreher und zuarbeitende Handwerker sowie deren Familien waren so in „Arbeit“ und verdienten damit ihr tägliches Brot. Der „Riesbetrieb“, der mittels einer Rutsche  die Baumstämme bis ans Wasser brachte verlangte eine Menge an Arbeitskräften. Entlang der Kinzig bearbeiteten viele Sägen das Holz und die Bretter gelangten als „Oblast“ auf den Flößen oder als „Katzenfloß“ in den Großraum von Straßburg.

 
Der rigorose Ausschluss der Waldbesitzer vom Holzhandel bis ins 19. Jahrhundert hinein war eine äußerst weise Maßnahme. Diese Praxis sicherte sowohl den Waldbauern als auch den Stadtbewohnern eine angemessene Existenz. 1527 verpflichteten sich alle Wolfacher Schiffer auf eine verbindliche „Ordnung des Wolfacher Schifferthums“. Diese Satzung, vor über 480 Jahren formuliert, regelte mit juristischer Akribie so viele Details für eine gedeihliche Zusammenarbeit , wie dies nur nach  jahrhunderterlanger Betriebserfahrung möglich war.

 
Es lag in der Eigenart des Flößergeschäftes, dass ein einzelner Schiffer gebundenes Langholz nicht allein über weite Flussstrecken transportieren konnte. Nur durch eine gemeinsam eingebrachte Kapitalkraft,  im Rahmen einer genossenschaftlichen Ver-einigung, wie sie mit der Schifferordnung von 1527 begründet worden war, konnte die erforderlichen Flussbauten und „Floßanstalten“ (Wasserstuben, Wehre,  Lagerflächen usw.) geschaffen werden. Die Floßstraße musste nach den alljährlichen, oft gewaltigen Hochwassern und Eisgängen offen gehalten werden, ebenso waren die Holzmassen, die man zum Bau eines Floßes benötigte, zu finanzieren.

   
         

Das "Schiffertumb war keine Zunft im Sinne des Handwerks. Sie hielt nur einmal
jährlich einen „Schiffertag“ und ein „Flößergericht mit Rügungen“ ab. Die Schiffer-ordnung von 1527 wurde im Laufe der Jahrhunderte wiederholt neu gefasst und den

„ Zeitläufen“ sowie dem Geschäftsgang angepasst. Im Allgemeinen blieb man jedoch

den alten, bewährten Bestimmungen treu und begnügte sich mit Zusätzen.

 
Die Nutzung der Flüsse gehörte zu den „Regalien“, d. h. zu den wirtschaftlich nutzbaren Hoheitsrechten der jeweiligen Landesherren. Die Kinzigflößerei war von Anfang an ein mehrfach grenzüberscheitendes Geschäft.  Zehn Herrschaftsgebiete musste ein Floß von Alpirsbach bis Kehl durchfahren. Die Beamten des Hauses Fürstenberg und der anderen Herrschaften  überwachten streng die Einhaltung der Satzung. Vor allem achtete man auf eine leichte Zählbarkeit der zusammengefügten Hölzer, um die Zollabrechnung zu erleichtern.

 
So wurde bereits im April 1500 zwischen dem Haus Fürstenberg (Graf Wolfgang), dem Herzog Ulrich von Württemberg und dem Abt des Klosters Alpirsbach eine erste gemeinsame Floßordnung ausgehandelt. Trotz dieser zwischenstaatlichen Übereinkünfte hatte man das Holzhandelsprivileg ganz gerecht auf jeweils 20 Schiffer  verteilt, waren die Beziehungen nicht immer ungetrübt. Als 1810 die Städte Wolfach und Schiltach badisch geworden waren, gab es automatisch eine einheitliche Behandlung in schiffer-schaftlichen Angelegenheiten.

 
Der Floßbetrieb griff zum Teil ganz erheblich in die Rechte anderer ein, in die Belange von Landesherren, Stadt- oder Landgemeinden und  Privatpersonen. Die Sicherheit von Brücken und Einlasswerken war zu garantieren, Wiesenwässerungsrechte waren zu beachten, Entschädigungssummen für Mühlen und Sägewerke, die wegen des Wasser-entzugs zeitweilig stillstanden, waren abzuhandeln und zu bezahlen.

 
Die Geschichte der Kinzigflößerei kannte ebenso wie die „große Geschichte“ ein fort-währendes Auf und Nieder. Jahrzehnte des Wachstums, des Wohlstandes wechselten mit Zeiten des Niedergangs, der Not. Dem guten Geschäftsgang folgte die „Gant“, der Konkurs, so 1849.

 
Blütezeiten  müssen offensichtlich das 15. und 16. und größere Zeiträume des 18. Jahr-hunderts gewesen sein. Nach 1700, als sich die Macht- und Handelsverhältnisse in Europa völlig verändert hatten , vor allem als die Niederlande  zu einer beherrschenden See- und Kolonialmacht hergewachsen war, erhielt die Flößerei wieder einen Auf-schwung. Da kamen die Einkäufer aus den niederländischen Städten  ins Kinzigtal, um selbst Holz in den Wäldern auszusuchen und den Transport per Floß zu organisieren.

 
Die Angaben über die geforderten Dimensionen der vornehmlich für den Schiffs- und Brückenbau vorgesehenen Baumkolosse schwankten. Sie reichten bis 33 m Länge und 48 cm Durchmesser am Zopf (dünnes Stammende). Nadelholzstämme dieser Güte tragen seither im Volksmund den Namen „Holländer“. Eichenholz  war ebenso eine stark ge-fragte Ware. Enorme Mengen von Holz wurden auch für die Untergrundbefestigung der holländischen Städte benötigt. Das Stammholz, anfänglich lieferte man auch  noch  Bretterware, wurde später in eigenen von „Windmühlen“ betriebenen Sägen aufge-arbeitet.

 
Die Kinzigtäler Flößer hatten in der Regel auf dem Rhein nichts verloren. Die Rheinfloß-fahrt war eine Sache der „Rheinflößer“ und begann bereits ab Willstätt. Höchstens kamen die Kinzigtäler bis zu den aufstrebenden Städten rheinabwärts bis nach Mainz oder bis zu den  Stapelplätzen und Holzmärkten  bei  Karlsruhe und  Mannheim. Der Handel lag bei kartellartigen, großen  Handelsunternehmen, denn nur diese konnten die enorme Kapitalkraft aufbringen.

 
Niedergang,  ja Stillstand brachten der Flößerei und dem Holzhandel die vielen unseligen Kriegswirren im 17. Jh.,  z. B. der 30-jähriger Krieg . In schlimmer Weise wirkte auch der Rückgang des Waldes. Schon 1767 heißt es, dass die Calwer Compagnie das Holzfällen am Kniebis einstellen lassen musste. Außer in der Reinerzau sei kein Holländerholz mehr vor-handen! An anderer Stelle heißt es, dass die württembergischen und fürstenberg-ischen Waldungen vollständig ausgehauen seien.  Ebenso verlief es in Schramberg. 1766 heißt es, käme wenig Holz aus dem Tal heraus, „da das dortige Bergwerk alles brauche und die Floßeinrichtungen schlecht und im Verfall seien“.

 
Einen letzten Aufschwung brachte die Mitte des 19. Jahrhunderts, obwohl sich das euro-päische Eisenbahnnetz schon zu verdichten begann. Doch das angebrochene Industrie-zeitalter ließ in den traditionellen Absatzgebieten der Kinzigflößer drunten am Rhein zahlreiche Industrieanlagen entstehen, die Städte explodierten förmlich. Der Holzbedarf stieg enorm an.

 
Die „Karlsruhe Zeitung“ vom 3. April 1857:

„ Die Holzflößerei auf der Kinzig, welche in der Regel erst im April beginnt, hat in diesem Jahr bei günstiger Witterung schon im verflossenen Monat ihren Anfang genommen. Es sind bereits 15 Flöße abgegangen, und es werden täglich 1-2 Flöße die Kinzig passieren. Unser Holzhandel ist in all seinen Teilen auf einem Höhepunkt angelangt, welchen er in den besten Zeiten, die wir je erlebten, nicht erreicht hat. Wir dürfen behaupten, dass in gegenwärtigen Zeiten 300 Flöße auf der Kinzig befördert werden.“

 
Als 1866 der Schienenstrang Hausach erreichte, und 1878 das Dampfross erstmals Menschen und Güter von Hausach nach Wolfach zog, waren die Tage der Flößerei gezählt. Die negative Entwicklung wird deutlich, wenn man die Zahlen der jährlich abgegang-enen Flöße betrachtet:

1857 waren es 300 Flöße, 1872=250 Flöße, 1882=96 Flöße und 1891 nur noch 20 Flöße.

 Jedermann konnte nunmehr sein eigenes oder aufgekauftes Holz verhandeln, zumindest theoretisch und auch selbst verflößen. Die Schiffer waren durch diese Bestimmungen zur

„Kinzig-Flößerei-Genossenschaft“ mit dem Sitz in Wolfach geworden, welche sowohl „die überkommenen Rechte“ als auch die „vorhandenen Floßanstalten“ in Besitz nahmen.  Sie konnten nun als Unternehmer ihre Kunstfertigkeit im Bau und Führen von Flößen weiter anbieten, doch waren sie verpflichtet, die in ihrem Besitz befindlichen Einrichtungen auch allen anderen Interessierten gegen Gebühren zur Nutzung zu überlassen.

 
Der Anreiz wirtschaftlichen Erfolges im Schutz von garantierten Rechten war nicht

mehr gegeben, das Ende der Flößerherrlichkeit vorprogrammiert. „Der Sieg des kochenden Wassers über das Fließende“ war nicht mehr aufzuhalten. Die Eisenbahn machte die Wasserstraße Kinzig zu einer „Dienerin der Industrie und zu einem einfachen Fischbehälter“. 1895 fuhr das letzte „wirtschaftlich“ genutzte Floß von Wolfach in Richtung Offenburg.

 
Der Transport des Holzes durch die Flößerei konnte immer nur als ein Notbehelf an-gesehen werden. Die Nachteile  waren vielfach: das umständliche Bereiten der Flöße, die notwendig werdende Zurichtung des Holzes mit Materialverlust, die Einbuße des Holzes an Qualität und Quantität. Dazu kam die Unterhaltung der Floßanstalten. Früher war nun bei dem Mangel an  Straßen und bei der schlechten Verfassung der bestehenden Wege keine andere Wahl des Transportes möglich. Anders war es , wie im 19. Jahr-hundert, als nicht nur viele gute Staatstraßen, sondern auch zahlreiche, oft bis in ent-legene Täler führende Waldwege entstanden.


Franz Disch, der große Chronist der Stadt Wolfach, kommentierte 1920 das Ende der Flößerei recht nüchtern, fast herzlos, wenn er schreibt:

 
 „Über nahezu 700 Jahre hatte die Flößerei das ganze Flussgebiet beherrscht, alle Wasserrechte eigennützig an sich gezogen und restlos für sich genützt und dadurch der Fabrikindustrie, der fleißigen Tochter des 19. Jahrhunderts, den Einzug ins Tal verwehrt.“

 Heute im Jahr 2008 sind noch einige erhaltenswerte Überreste im Wolf- und Kinzigtal vorhanden. Wolfacher, Schiltacher und Gengenbacher Flößervereine bewahren die Tradition und die Flößermuseen erhalten die schriftlichen und materiellen Überreste.


Zusammengestellt und aktualisiert: Edgar Baur, Februar 2008

 

Info/Auszüge von:

Herrmann Schrempp, Stadtbuch Wolfach (1988)

Ludwig Barth, Geschichte der Flößerei im oberen Kinzigtal (1895)